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  2011-11-13: Ramsauer agiert ohne Grundlage

Nun lässt Bundesverkehrsminister Ramsauer also die Katze aus dem Sack: Er will die Helmpflicht für Radler einführen, wenn die Helmtragequote nicht auf über 50% steigt. Erfreulich klar war das erste Medienecho: Diese Maßnahme wäre kontraproduktiv. Soll es wirklich künftig ein Bußgeld kosten, wenn man morgens mal schnell ohne Kopfbedeckung zum Bäcker fährt? Soll es wirklich eine Ordnungswidrigkeit sein, wenn man seinem Besuch sein Zweitrad leiht? Ein passender Zweithelm dürfte nicht immer vorhanden sein, denn es wurde ja immer betont: Ein Helm muss anprobiert werden und passen. Wird die Fahrt vom Ferienbungalow zum Strand künftig in Badehose und Helm erfolgen müssen, will man keine Strafe riskieren?

Eine Helmpflicht würde all dies zur Folge haben. Das Fahrrad wäre nicht mehr so einfach und unkompliziert benutzbar, man würde auf Fahrten verzichten oder auf Auto oder Bus und Bahn ausweichen. Das ist keine Theorie. Zählungen in Australien vor und nach der Einführung einer Helmpflicht mit den gleichen Zählern an den gleichen Stellen bei gleichen Bedingungen zeigten einen starken Rückgang des Radverkehrs an. Anders gesagt: Die hohe Tragequote nach Einführung der Helmpflicht wurde vor allem dadurch erreicht, dass die Radfahrer ohne Helm nicht mehr aufs Fahrrad stiegen. Wollen wir das?

Weiter belegt eine Studie von Dorothy L. Robinson an der University of New England in Armindale (New South Wales), dass im Bundesstaat New South Wales zwar nach Einführung der Helmpflicht der Anteil der Helmträger bei den unter 16-jährigen von 31 auf 76 Prozent anstieg. Im selben Zeitraum nahm die Zahl der Rad fahrenden Kinder jedoch massiv ab: Gegenüber 1991 waren im Jahr 1992 36 Prozent weniger Kinder mit dem Fahrrad unterwegs, im Jahr 1993 betrug der Rückgang im Vergleich zu 1991 sogar schon 44 Prozent. Die Zahl der Kopfverletzungen sank zwar in absoluten Zahlen, zur Zahl der Radfahrer ins Verhältnis gesetzt nahm sie hingegen zu. Radfahren wurde offenbar für die verbliebene Zahl Rad fahrender Kinder gefährlicher.
(Dorothy L. Robinson, AGBU, University of New England, Armidale, NSW 2351, Australia: Head Injuries and Bicycle Helmet Laws, Accident Analysis and Prevention, volume 28, number 4, pages 463 - 75 (1996))
Anders gesagt: Selbst Helmträger sind nach Einführung einer Helmpflicht gefährdeter.

Jüngere kanadische Untersuchungen konnten ebenfalls keinen Effekt der steigenden Helmtragequote bei den Kopfverletzungen nachweisen.


Was unterscheidet diese Untersuchungen nun von denen, die gern von Helmherstellern und nun auch von Ramsauer zitiert werden? Sie sind evidenzbasiert. Die Wirkung des Helmes wird empirisch untersucht. Die Freie Presse zitiert dagegen eine Untersuchung, wonach bei 10 untersuchten Radfahrern 9 durch einen Helm hätten gerettet werden können. Diese ist nicht evidenzbasiert. Es muss beispielsweise auch die Frage erlaubt sein, wieviel von den mit Helm verunglückten Radfahrern ohne Helm vielleicht noch leben würden. Klingt absurd? Ist es aber nicht. Die Arbeiten von Robinson und anderen zeigen, dass es solche Fälle sogar geben muss! Ein Unfall im Bekanntenkreis endete nach einem Überschlag über den Lenker mit einer heftigen Schramme am Kopf. Nach dem Aufwachen der Patientin meinte der Arzt, dass sie mit Helm nicht mehr leben würde, denn dann wäre der behelmte Kopf bei ihrer Rolle vorwärts an der Straße hängengeblieben und hätte ihr das Genick gebrochen. Diese Aussage ist genauso richtig oder falsch wie die Vermutung, dass ein unbehelmter Radfahrer einen anderen Unfall mit Helm besser überstanden hätte. Es ist einfach nur eine Vermutung. Für die Beurteilung der Wirkung einer Helmpflicht bringt das wenig, es hilft nur, das überraschende Ergebnis der Robinson-Studie zu erklären.

Ebensowenig helfen diese Untersuchungen bei der Beurteilung des individuellen Risikos. Die Entscheidung, einen Helm zu tragen, muss jeder für sich treffen. Es gibt nach der bisherigen Datenlage keinen Grund, diese persönliche Entscheidung zu beeinflussen oder gar zu kritisieren.

Ramsauer will also ein Hilfsmittel zur allgemeinen Pflicht machen, bei dem alle bisherigen evidenzbasierten Untersuchungen keinerlei Wirkung nachweisen konnten! Dafür nimmt er einen Rückgang des Radverkehrs in Kauf, der durchaus 25% oder mehr betragen könnte. Ginge es hier um ein Medikament, ginge ein Aufschrei durch unser Land. Impfungen, die - hier ohne jeden Zweifel - Leben retten können, sind beispielsweise nicht verpflichtend.

Übrigens sterben jährlich rund 10.000 Menschen an Kopfverletzungen - ein Großteil davon bei Verkehrsunfällen. Angesichts von 381 getöteten Radfahrern, die natürlich bei weitem nicht alle an einer Kopfverletzung starben (und bei denen, die von einem LKW überrollt wurden, hätte auch ein Helm nicht geholfen), sollte man konsequenterweise auch über Helme für andere Verkehrsteilnehmer nachdenken. Jedes zweite der insgesamt 3648 Verkehrsunfallopfer war ein PKW-Insasse. PKW-Helme gibt es. Sie werden im Motorsport verwendet - trotz Sicherheitsgurt und anderer Maßnahmen.

Und schließlich: Helme verhindern keine Unfälle. Investitionen in Unfallvermeidung sind wichtiger, viel wichtiger!

Ralph Sontag